Wenn die Tage kürzer werden, die Temperaturen fallen und der erste Nebel über den Straßen hängt, stellen die besonderen Bedingungen von Herbst und Winter selbst die erfahrensten Radfahrer vor Herausforderungen: kalte Luft, Nässe, Wind und schlechte Sichtbedingungen können jede Tour zur Belastungsprobe machen. Doch wer sich richtig kleidet, muss weder auf das Radfahren im Freien verzichten noch frieren.
Das Geheimnis heißt: Zwiebelsystem. Im Folgenden werfen wir einen genauen Blick darauf, warum das Zwiebelsystem beim Radfahren im Herbst und Winter unverzichtbar ist, welche Schichten wirklich wichtig sind und worauf man bei der Auswahl achten sollte.
So gut, so einfach: so funktioniert das Zwiebelprinzip
Das Zwiebelsystem – oder Schichtenprinzip – ist längst ein Klassiker im Outdoor-Bereich. Ursprünglich für Bergsteiger und Wanderer entwickelt, hat es sich auch unter Radfahrerinnen und Radfahrern etabliert. Es beschreibt das Tragen mehrerer Kleidungsschichten übereinander, die jeweils eine bestimmte Funktion erfüllen. Die Kunst liegt darin, Wärme und Feuchtigkeit optimal zu regulieren – und sich bei Bedarf an wechselnde Bedingungen anzupassen.
Foto: Huub
Das Prinzip ist so einfach wie effektiv: Anstatt sich in eine dicke Jacke zu hüllen, trägt man mehrere dünnere Schichten, die gemeinsam ein flexibles und atmungsaktives Klimasystem bilden. Zwischen den einzelnen Lagen sammelt sich Luft – ein hervorragender Isolator, der Wärme speichert, ohne zu überhitzen. Gleichzeitig kann überschüssige Feuchtigkeit nach außen entweichen.
Die Herausforderung im Herbst und Winter
Während man im Sommer meist nur auf Sonnenschutz achten muss, sind die kühleren
Jahreszeiten ein echtes Trainingsfeld für Körper und Geist und dürfen nicht unterschätzt
werden. Neben der Kälte spielt vor allem die Witterungsdynamik eine Rolle: Morgens Nebel,
mittags Sonne, nachmittags Regen – solche Wechsel verlangen flexible Kleidung.
Das Zwiebelsystem erlaubt genau das: Mit Reißverschlüssen, Belüftungsöffnungen oder dem schnellen Ablegen einer Schicht kann man das Mikroklima jederzeit anpassen. So bleibt der Körper im Gleichgewicht – weder klatschnass noch durchgefroren.
Ein weiterer Punkt ist die Sichtbarkeit. Im Herbst und Winter sind die Tage kurz, das Licht
diffus, und Autofahrer übersehen Radfahrer leicht. Deshalb ist Reflexion Teil der
Funktionskleidung: reflektierende Logos, Streifen oder Einsätze erhöhen die Sicherheit
erheblich. Auch eine zusätzliche reflektierende Weste oder eine helle Jacke kann Leben retten.
Zwiebelsystem - Die Schichten im Überblick
Das Schichtsystem gliedert sich in drei funktionale Ebenen, die jeweils ihre eigene Aufgabe
erfüllen:
1. Basisschicht (Baselayer) – Feuchtigkeitsmanagement
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Diese Schicht liegt direkt auf der Haut und ist für den Abtransport von Schweiß zuständig. Sie muss atmungsaktiv und schnelltrocknend sein. Klassische Materialien sind Merinowolle,
Polyester oder Polyamid.
- Merinowolle hat den Vorteil, dass sie auch in feuchtem Zustand wärmt und
geruchsneutral bleibt – ideal für längere Fahrten. Aber auch hochpreisig. - Synthetische Funktionsfasern trocknen schneller und sind meist etwas günstiger.
Wichtig ist, dass die Basisschicht eng anliegt, um Feuchtigkeit effizient nach außen zu
transportieren.
Empfehlung: Ein langärmliges Funktionsshirt und eine Radunterhose oder Bib-Tights mit integriertem Sitzpolster. In der Übergangszeit im Herbst sind vor allem Armlinge, Knielinge und Beinlinge eine sinnvolle Ergänzung zur ggf. noch kurzen Kombination aus Radhose und Trikot.
2. Isolationsschicht – Wärmespeicherung
Foto: Huub
Die zweite Schicht dient der Wärmeregulierung. Sie sorgt dafür, dass die vom Körper erzeugte Wärme nicht verloren geht. Hier kommen Materialien wie Fleece, Merinowolle, Primaloft oder andere synthetische Isolationsstoffe zum Einsatz.
Bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt reicht oft ein dünnes Fleece-Trikot, während bei Minusgraden eine wärmende, aber atmungsaktive Midlayer-Jacke sinnvoll ist. Auch Softshell-Materialien können in dieser Schicht eingesetzt werden – sie verbinden Wärmeleistung mit leichter Windabweisung.
Entscheidend ist die Balance: Die Isolationsschicht darf nicht zu dick sein, sonst überhitzt man beim Fahren. Ein bewährtes System ist, die Schichten modular zu kombinieren – etwa ein dünnes Merino-Shirt unter einem Fleece-Trikot, das bei Bedarf geöffnet oder ausgezogen werden kann.
3. Außenschicht - Wetterschutz
Foto: Gemini
Die äußere Lage hat die Aufgabe, vor Wind, Regen und Schnee zu schützen. Sie sollte
winddicht und wasserabweisend oder -dicht sein, gleichzeitig aber atmungsaktiv bleiben.
Hier unterscheidet man zwischen:
- Leichte Windwesten oder Jacken (Windstopper) für trockene, kühle Tage,
- Regenjacken mit Membran (z. B. Gore-Tex, eVent) für nasse Bedingungen,
- Winterjacken mit zusätzlicher Isolierung für sehr kalte Temperaturen.
Eine gute Radhardshell sollte mindestens eine Wassersäule von 10.000 mm aufweisen und
Belüftungsöffnungen (z. B. unter den Armen) besitzen.
Auch der Schnitt ist wichtig: Eng anliegend, aber mit genügend Bewegungsfreiheit, um
Luftwiderstand zu vermeiden. Eine verlängerte Rückenpartie schützt vor Spritzwasser, ein hoher Kragen vor Zugluft.
Die Wahl der Radhose sollte sich ebenso an den genannten Aufgaben orientieren. Die Palette reicht von einfachen langen Hosen hin zur gefütterten Variante für besonders kalte Tage. Bei Bedarf können Regenhosen, Armlinge und Beinlinge die persönliche Ausstattung ergänzen.
Accessoires - kleine Details, große Wirkung
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Gerade beim Radfahren sind nicht nur Oberkörper und Beine entscheidend. Kälte dringt oft über die Extremitäten ein – Hände, Füße und Kopf sind besonders empfindlich. Deshalb gehören passende Accessoires zum Pflichtprogramm:
- Handschuhe: Im Herbst genügen winddichte Modelle, im Winter sollten sie zusätzlich
gefüttert und wasserdicht sein. Für längere Fahrten lohnt sich ein zweilagiges System
(Innenhandschuh + Überhandschuh). - Überschuhe: Halten Wind und Nässe von den Füßen fern und verhindern, dass der Fahrtwind durch die Belüftungsschlitze der Radschuhe dringt.
- Mütze oder Stirnband: Da ein Großteil der Körperwärme über den Kopf verloren geht, sollte unter dem Helm eine dünne, atmungsaktive Mütze getragen werden.
- Halstuch oder Buff: Schützt Hals und Nacken vor kalter Luft, lässt sich bei Bedarf über Mund und Nase ziehen.
Auch eine gute Brille ist im Herbst und Winter sinnvoll – sie schützt nicht nur vor blendendem Licht, sondern auch vor kaltem Fahrtwind, Regen oder Schneeflocken.
Hier sollten vor allem die meist eher schlechten Lichtverhältnisse bedacht und eine nur leicht
getönte Brille verwendet werden.
Typische Fehler - und wie man sie vermeidet
Viele Radfahrer begehen im Winter immer wieder dieselben Fehler:
-
Zu dick angezogen: Wer schon beim Losfahren schwitzt, hat zu viel an. Die ersten
Minuten dürfen ruhig etwas kühl sein – nach wenigen Kilometern regelt sich die
Körpertemperatur. -
Baumwolle tragen: Baumwolle speichert Feuchtigkeit und kühlt aus – sie hat im
Schichtsystem nichts verloren. -
Nasse Kleidung behalten: Nach einer starken Anstrengung oder einem Regenschauer
sollte man möglichst schnell trockene Kleidung anziehen. -
Hände und Füße unterschätzt: Kalte Extremitäten beeinträchtigen die Kontrolle über das
Rad – funktionale Handschuhe und Überschuhe sind kein Luxus, sondern Sicherheit.
Pflege und Nachhaltigkeit
Moderne Funktionskleidung ist Hightech – und will entsprechend gepflegt werden. Nach jeder längeren Tour sollte sie gelüftet, bei Bedarf mit Spezialwaschmitteln gereinigt und regelmäßig imprägniert werden, um Atmungsaktivität und Wetterschutz zu erhalten.
Auch Nachhaltigkeit spielt zunehmend eine Rolle: Viele Hersteller bieten mittlerweile Kleidung aus recycelten Materialien oder PFC-freien Imprägnierungen an. Merinowolle ist zudem ein nachwachsender Rohstoff und biologisch abbaubar.
Fazit
Das Zwiebelsystem ist weit mehr als ein Modekonzept – es ist eine Strategie für Komfort,
Gesundheit und Leistung. Wer die drei Schichten sinnvoll kombiniert, bleibt selbst bei
Minusgraden warm, trocken und leistungsfähig. Gleichzeitig bietet es maximale Flexibilität, um auf wechselnde Wetterbedingungen zu reagieren.
Ob Pendler, Gravel-Fan oder Rennradfahrer: Mit dem richtigen Bekleidungssystem wird der
Herbst zur Lieblingsjahreszeit und der Winter zur sportlichen Herausforderung statt zur
Zwangspause. Am Ende gilt: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur falsche Kleidung – und wer die Zwiebel richtig schichtet, wird nie frieren.















