Triathlon ist ein Sport der Extreme. Nicht nur, weil er gleich drei Disziplinen vereint – Schwimmen, Radfahren, Laufen – sondern weil er oft mit einem Lebensentwurf einhergeht, der kaum Raum für Kompromisse lässt. Wer Triathlon betreibt, lebt ihn meist mit einer Konsequenz, die bewundernswert, aber auch gefährlich sein kann. Denn inmitten der vielen Stunden auf dem Rad, der Bahnen im Becken und der Kilometer auf der Laufstrecke kann etwas verloren gehen, das für die langfristige Gesundheit – körperlich wie psychisch – essenziell ist: das Gleichgewicht.
Sportpsychologe Bogomil Poliakov spricht über Motivationlöcher, Selbstzweifel, Depressionen und Wege heraus aus einer mentalen Krise.
"Während viele Trainingseinheiten auf die Stärkung des Körpers abzielen, bleibt die Psyche oft untrainiert. Der Kopf muss einfach mitziehen – so die verbreitete Annahme. Doch die Realität zeigt ein anderes Bild. Burnout und Depressionen sind längst auch im Ausdauersport angekommen. Das betrifft nicht nur Profis, sondern zunehmend auch Menschen, die ihren Sport neben dem Beruf mit größtem Ehrgeiz betreiben. Und genau hier liegt das Problem: Die äußeren Strukturen sind oft nicht auf die Belastung vorbereitet, die aus dem inneren Druck entsteht."
Wenn Training zur Pflicht und Leistung zur Last wird
Der Einstieg in den Triathlon ist für viele ein Wendepunkt. Was als persönliche Herausforderung oder Ausgleich zum Alltag beginnt, wird schnell zu einem festen Bestandteil des Lebens – mit festen Plänen, Wettkampfkalendern und immer neuen Zielsetzungen. Dabei bleibt häufig unreflektiert, wie sich diese Struktur auf das mentale Wohlbefinden auswirkt. Gerade Menschen mit hohem Anspruch an sich selbst – was im Triathlon keine Seltenheit ist – setzen sich häufig unter massiven Leistungsdruck. Jede verpasste Einheit wird als Schwäche gedeutet, jede nicht erreichte Zielzeit als Versagen.
Hinzu kommt die permanente Sichtbarkeit durch Apps wie Strava oder TrainingPeaks. Die Leistung wird nicht nur für einen selbst erfasst, sondern auch für andere sichtbar gemacht. Vergleiche sind nahezu unvermeidlich – auch wenn sie niemand ausspricht. Was motivierend gemeint ist, kann schnell zur Quelle von Selbstzweifeln werden. Wer sieht, dass andere bei Regen fahren, länger laufen oder bessere Zeiten schwimmen, beginnt an sich zu zweifeln, auch wenn der eigene Körper Erholung bräuchte.
Der Übergang vom Hobby zur psychischen Belastung ist schleichend. Zuerst fehlt nur die Lust auf eine Einheit. Dann kommt die Müdigkeit hinzu, Gereiztheit, Schlafprobleme. Schließlich wird das Training zur Last – aber abgebrochen wird es trotzdem nicht. Denn wer aufhört, ist raus, verliert Anschluss, Kontrolle, das Gefühl von Identität. In solchen Momenten wäre Unterstützung wichtig – doch gerade dann ziehen sich viele zurück.
Müdigkeit & ständige Erschöpfung, Foto: unsplash / Anil Sharma
Oft verstärken auch äußere Lebensereignisse die Belastung: berufliche Krisen, familiäre Anforderungen oder gesundheitliche Rückschläge wirken wie Brandbeschleuniger für mentale Erschöpfung. In solchen Phasen wäre es umso wichtiger, dass der Sport Rückzugsort und Kraftquelle bleibt. Doch wenn auch der Sport zur Pflicht wird, verliert das System seinen Puffer – und die Belastung wird ganzheitlich.
Was fehlt: Raum für Schwäche und Sprache für Erschöpfung
Im Triathlon wird gerne über Wattzahlen, Splitzeiten und Ernährung gesprochen. Über mentale Tiefs hingegen kaum. Es fehlt eine Sprache, um Erschöpfung nicht nur körperlich, sondern auch emotional zu beschreiben. Wer zugibt, dass es ihm oder ihr schlecht geht, fühlt sich schnell als Außenseiter. Der Sport ist stark durchzogen von einem Heroismus, der Schwäche nicht vorsieht. Und so bleibt das Gefühl der Überforderung oft unausgesprochen – bis es sich in Form eines echten Zusammenbruchs äußert.
Dabei wäre gerade hier ein Umdenken dringend notwendig. Mentale Gesundheit ist kein Luxus, sie ist Voraussetzung für nachhaltige Leistungsfähigkeit. Das bedeutet nicht, dass Triathlon aufgegeben werden muss – im Gegenteil. Aber er muss als das verstanden werden, was er ist: eine Herausforderung, die mehr erfordert als nur starke Beine.
Trainer, Vereine und auch Veranstaltende tragen Verantwortung. Nicht allein, aber mit Einfluss. Trainer können Gespräche anbieten, in denen es nicht nur um die Trainingsdaten geht, sondern um das, was zwischen den Einheiten passiert. Vereine können Vorträge, Workshops oder regelmäßige Runden etablieren, in denen offen über mentale Themen gesprochen wird. Und Veranstaltende sollten darüber nachdenken, Angebote zur psychologischen Betreuung rund um große Rennen anzubieten. Denn gerade nach einem großen Ziel fällt es vielen schwer, wieder in einen Alltag zurückzufinden.
Es wäre auch sinnvoll, Wettkämpfe emotional vorzubereiten. Nicht nur das Race-Briefing vor dem Start sollte Standard sein, sondern auch ein mentales Briefing: Was bedeutet mir dieses Rennen? Wie gehe ich mit Enttäuschungen um? Was ist mein Plan für die Tage danach? Wer sich diesen Fragen stellt, begegnet der Herausforderung bewusster und bleibt auch nach dem Zielstrich in Balance.
Was wirklich hilft: Zurück zur Freude, hin zur Balance
Jeder Mensch ist anders – und so gibt es auch keine Patentlösung für mentale Krisen im Sport. Doch es gibt Erfahrungswerte, die helfen können. Wer den Eindruck hat, dass der Sport nur noch Energie kostet, sollte sich bewusst Zeit nehmen, um zu reflektieren.
Warum mache ich das alles? Was habe ich mir erhofft – und was erlebe ich wirklich? Diese Fragen sind nicht immer angenehm, aber notwendig.
Manchmal hilft es, die Struktur aufzubrechen. Eine Woche ohne Uhr, ohne Pulsgurt, ohne Zielzeit. Einfach trainieren, weil man es will – nicht, weil man muss. Oder ein kompletter Wechsel: statt Triathlon vielleicht mal Yoga, Wandern oder Schwimmen ohne Plan. Auch Gespräche mit anderen, die ähnliche Phasen durchlebt haben, können entlasten. Wichtig ist, nicht allein zu bleiben.
Wenn nötig, sollte auch professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Psychotherapie ist kein Zeichen von Scheitern, sondern von Klugheit. Sie hilft, Muster zu erkennen, Gedanken zu sortieren und neue Perspektiven zu finden. Ebenso kann mentale Betreuung im sportlichen Kontext, etwa durch Sportpsychologen, sehr sinnvoll sein – nicht nur für Profis.
Eine weitere Möglichkeit besteht darin, neue sportliche Reize zu setzen – nicht mit höherem Leistungsanspruch, sondern mit Neugier. Vielleicht mal eine andere Strecke, ein Team-Event, ein Trainingslager ohne Wettkampfdruck. Oder ein soziales Projekt im Verein, das verbindet und Sinn stiftet. Denn oft geht es weniger um den Sport selbst, sondern darum, wieder Verbindung zu spüren – zu sich und zu anderen.
Triathlon ist ein großartiger Sport. Er bringt Menschen an Orte, zu Erfahrungen und in Zustände, die sie vorher nicht für möglich gehalten hätten. Doch genau deshalb ist es wichtig, ihn nicht über alles zu stellen. Wer langfristig Freude am Sport haben möchte, muss lernen, mit sich selbst im Reinen zu bleiben – auch dann, wenn der Trainingsplan ausfällt oder das Ziel verfehlt wird.
Depression und Burnout sind real. Auch im Triathlon. Aber sie sind kein Ende – sie sind ein Signal. Eines, das gehört werden sollte. Damit der Sport nicht zur Belastung wird, sondern das bleibt, was er sein kann: ein Weg zu sich selbst, mit Freude, Kraft und Klarheit.
Expertenvita
Bogomil Poliakov ist klinischer Psychologe und anerkannter Experte für Sportpsychologie und High Performance Mentaltraining. Als Gastautor vermittelt er fundiertes Wissen zu Themen wie Ressourcenstärkung, Umgang mit Ängsten und mentaler Leistungssteigerung im Sport. Seine Beratung richtet sich gezielt an Sportler aus Individual-, Kampf- und Teamsportarten.